Presseschau 21. August 2015

»Kunde statt Bürger«

Crouch, Colin: Kunde statt Bürger. In: Le Monde diplomatique (August 2015), Nr. 08/21. Jahrgang, S. 3.

Crouch schreibt über die Gefahren des »New Public Management« und wie aus Bürgern Kunden werden. Mit der Ökonomisieren des öffentlichen Dienstes verschieben sich demokratische Grundrechte sowie gesetzliche Gleichstellung zu Bevorteilungssystemen. Er sieht Steuerzahler nicht als Kunden sondern »als Bürger und damit als Inhaber bürgerlicher Rechte und Pflichten«. Des Weiteren geht Crouch davon aus, dass »das »Kunden«-Konzept unvermeidlich eine Ungleichheit impliziert, die sich mit dem Konzept eines mit Rechten ausgestatteten Staatsbürgers nicht verträgt […] — es gibt im privaten Sektor keine Entsprechung zum staatlichen Konzept der Gleichheit vor dem Gesetz.« Als Beispiel führt Crouch die britische Steuerbehörde an, die Großkonzernen beratend zur Seite steht im Gegensatz zu natürlichen Personen.

Weitere Beispiel folgen, über einen Vorfall, der 2015 aufgedeckt wurde, bei dem die Steuerbehörde seit fünf Jahren gewusst hat, dass eine Großbank 6000 Kunden geholfen hat, Schwarzgeldkonten in der Schweiz anzulegen, um Steuern zu sparen. Ganz nach dem Motto — der Kunde ist König. Abschliessend beschreibt Crouch aktuelle Situation in Barnet. Hier wurden »alle öffentlichen Aufgabe am Privatfirmen outgesourct, […] infolgedessen verfügt die Kommunalverwaltung […] nicht mehr über die nötige Sachkompetenz, um die Qualität der fremdvergebenen Dienstleistungen zu beurteilen.« Staatliche Leistungen sind nur noch in der Grundversorgung kostenlos. Wer mehr will, muss zahlen. Damit etabliert sich wieder eine 2-Klassen-Gesellschaft, die nichts mehr mit Demokratie und dem Grundgesetz gemein hat.

Der Soziologe Colin Crouch ist bekannt durch seine Veröffentlichung »Postdemokratie«. Der Text stammt aus dem Buch »Die bezifferte Welt. Wie die Logik des Finanzmärkte das Wissen bedroht.«, das am 7. September 2015 erscheint.

Idee: AGB für einen Staat erstellen. Jeder darf Kunde des Staates werden, wenn er die AGB annimmt. Keine Auswahlverfahren, keine Geburtsübertragung, kein Einheiraten.

Fragen
Warum werden öffentliche Aufgaben an Firmen vergeben, wenn wir doch genau dafür Steuern zahlen?
Welche Aufgaben sollten unbedingt in öffentlicher Hand bleiben?
Was ist »Postdemokratie«?
https://de.wikipedia.org/wiki/Postdemokratie
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-08/colin-crouch-bundestagswahl-sozialdemokratie

»Schäubles Gehäuse«

Denord, Francois; Knaebel, Rachel; Rimbert, Pierre: Schäubles Gehäuse: Geschichte und Wirkmacht der ordoliberalen Denkschule. In: Le Monde diplomatique (August 2015), Nr. 08/21. Jahrgang, S. 18 p.

Die Autoren geben Einblick in der deutsche Wirtschaftssystem seit dem 2. Weltkrieg und wie diese Einfluss auf die Europäische Union genommen hat. Als Resultat wird damit das aktuelle Vorgehen gegenüber Griechenland argumentiert, und dass nicht die »Volkssouveränität« für Entscheidungen innerhalb der EU zählt sondern die Haushaltpolitik.

Der Artikel unterstreicht die Entwicklung zur Postdemokratie, in denen Bürgerentscheidungen, wie die griechische positiv ausgefallende Volksabstimmung zum Verbleib in der EU, vor Wirtschaftsmacht stehen. Nicht die Menschen, Staats- und EU-Bürger stehen im Mittelpunkt, sondern der finanzielle Beitrag eines Landes und die Kaufkraft.

Fragen
Was ist die »ordoliberale Denkschule«?
https://de.wikipedia.org/wiki/Ordoliberalismus
Was ist »Neoliberalismus«?
https://de.wikipedia.org/wiki/Neoliberalismus

Presseschau 14. August 2015

»Fakten gegen Vorurteile«

Peters, Benedikt / Gröbner, Thomas: Fakten gegen Vorurteile. In: Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses e. V. (ifp) (Veröffentlicht: August 2013 / Stand: 13.8.2015), Online.
http://asyl.journalistenschule-ifp.de/fakten-gegen-vorurteile/

Die beiden Autoren räumen mit den üblichen fremdenfeindlichen Aussagen der deutschen Bundesbürger auf. Als Mittel nutzen sie Zahlen und Statistiken, an die der gemeine Deutsche gern glaubt, und zeigen die Irrtümer der Argumente.

»Die guten Schleuser«

Kaul, Martin: Die guten Schleuser. Deutsche Fluchthelfer damals und heute. In: TAZ (12.8.2015), Online.
http://www.taz.de/Deutsche-Fluchthelfer-damals-und-heute/!5218659/

»Er grub 1962 in Westberlin einen Tunnel, sie transportiert heute Migranten ins Land. Lange verehrt, heute bekämpft: deutsche Fluchthelfer.«

Ein geschichtlicher Abriss zum Thema Fluchthilfe vom ziviler Ungehorsam über den Straftäter zum Schlepper. Wo sind die Grenzen? was ist vertretbar? Was ist Menschenhandel? Der Artikel beleuchte mit einer klaren Meinung unterschiedliche Seiten.

Alain de Botton »Wie Proust Ihr Leben verändern kann«

De Botton, A. (2015). Wie Proust Ihr Leben verändern kann: Eine Anleitung. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.
Originaltitel (1997). How Proust Can Change Your Life. London: Picador Macmillan.

Gelesen / Exzerpt: 2.8. – 7.8.2015 / 7.8.2015
Standort: eigene Sammlung

Abstakt

De Botton nimmt sich Prousts Werk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« vor und erstellt daraus eine Anleitung, was wir von ihm lernen können. Dabei rückt er besonders die Wahrnehmung, Sensibilität und Aufmerksamkeit in den Fokus. Die Kapitel widmen sich jeweils einem Thema, dass einer Frage voran geht, die mit Passagen aus dem Werk, Briefen oder biografischen Begebenheiten erörtert wir. Neben den Kapiteln »Wie man das Leben heute liebt«, »Wie man richtig liest«, »Wie man sich Zeit nimmt«, »Wie man erfolgreich leidet«, »Wie man seinen Gefühlen Ausdruck verleiht«, »Wie man Freundschaften pflegt«, »Wie man in der Liebe glücklich wird« und »Wie man ein Buch aus der Hand legt« liegt mein Fokus auf »Wie man sehen lernt«. Alain de Botton ist Philosoph unseres Alltagslebens und hat in London die »School of Life« und »Living Architecture« gegründet.

Ausarbeitung

Der Text gibt mir nicht direkt antworten auf meine Fragestellung: Wie ich als Designerin aktiv werden kann, sondern hilft mehr eher philosophisch, wie man sich einem Thema annimmt und damit umgeht. Dabei sieht Proust den Menschen immer als handelnder Akteur, als Homo leidens/handelns, der nur durch Schmerz oder ein negatives Ereignis in der Lage ist zu Lernen. »Proust zufolge lernen wir überhaupt nur dann etwas, wenn wir auf ein Problem stoßen, wenn wir Schmerz empfinden, wenn etwas nicht so läuft, wie wir es uns erhofft hatten.« (De Botton, S.83) »Es ist doch so, dass nur das Leiden an einer Sache es uns möglich macht, deren Mechanismen, welche man sonst gar nicht kennen würde, zu bemerken, zu begreifen und zu analysieren. […] Ein lückenloses Gedächtnis ist kein sehr mächtiger Anreger, um die Phänomene des Gedächtnisses zu studieren.« (Proust, S.83) »Obwohl wir natürlich nicht unbedingt Schmerzen empfinden müssen, um unseren Verstand zu gebrauchen, geht Proust davon aus, dass wir nur in Notsituationen wirklich neugierig sind. Wir leiden, also denken wir, weil das Denken uns hilft, den Schmerz in einen Zusammenhang zu stellen, seinen Ursprung zu ergründen, seine Dimensionen auszuloten und uns mit seinem Vorhandensein anzufreunden.« (S.84) »Daraus folgt, dass es Ideen, die nicht unter Schmerzen geboren wurden, an einer entscheidenden Motivationsquelle gebricht.« In einem Beispiel im Kapitel »Wie man erfolgreich leidet« erhält ein Bräutigam einen bösen Brief, der seine zukünftige Gattin wüst beschimpft. Dieser sucht nun in Gedanken herauszufinden, welcher seiner Freunde oder Bekannten ihm diesen Brief geschrieben haben könnte. »Sein Geist hat sich verschleiert, […] und dabei ist ihm eine der, […] fundamentalen Eigenschaften von Verrat und Eifersucht entgangen — nämlich dass sie in der Lage ist, die intellektuelle Motivation zu schaffen, welche es uns ermöglicht, die dunklen Seiten unserer Mitmenschen zu ergründen.« (De Botton, S.101) Ganz nach dem Motto, Du kannst nur das anderen zutrauen, dass du vorher selbst erdacht hast. Oder, wie es mir gestern einer Flüchtlingsdiskussion aufgefallen ist: Ich kann nur anderen böse Absichten unterstellen, wenn ich es mir selbst vorstellen und aussprechen kann. Damit bin ich selbst schon auf bestimmte Situationen eingestellt, und habe ein sensibleres Organ für diese. Die Sensoren schlagen dann schneller an und schon der kleinste/leiseste Verdacht, wird uns davon überzeugen, dass wir es ja »gewusst« haben. Die Gefahr ist, dass unterschiedliche Situationen mit völlig anderen Ausgangsparametern nicht mehr differenziert werden können und alles auf ein Beispiel reduziert und somit pauschalisiert wird.

Im Kapitel »Wie man sehen lernt« stellt De Button die These auf, dass richtig sehen »zu der Erkenntnis verhilft, dass nicht das Leben mittelmäßig war, sondern das Bild«. (De Button, S.169f) Proust äussert sich dazu »Das bewusste Gedächtnis, das Gedächtnis der Intelligenz und der Augen, geben uns von der Vergangenheit nur ungenaue Faksimile wieder […] so dass wir das Leben nicht schön finden, weil wir es nicht in die Erinnerung zurückrufen — kaum aber nehmen wir einen Duft von früher wahr, wie sind wir dann plötzlich berauscht! und ebenso glauben wir die Toten nicht mehr zu lieben, aber nur deshalb, weil wir sie uns nicht ins Gedächtnis zurückrufen; sehen wir aber plötzlich einen alten Handschuh wieder, brechen wir in Tränen aus.« (Proust, S.170) »Die Bilder, die uns umgeben, sind jedoch oft nicht nur veraltet, sondern auch von trügerischer Opulenz. Wenn Proust uns drängt, die Welt unvoreingenommen zu betrachten, führt er uns immer wieder den Wert bescheidener Szenen vor Augen.« (De Button, S.178) »Der Reiz eindimensionaler Bilder liegt in ihrer mangelnden Mehrdeutigkeit.« (De Button, S.184) Im Kapitel »Wie man in der Liebe glücklich wird« führt De Button einen Dialog mit Proust. Er fragt diesen »Warum stumpf die Gewohnheit der Menschen ab?« Proust antwortet, dass er durch häufige Krankheit selbst viele Tage im Bett verbracht hat. »Da begriff ich, dass Noah die Welt niemals besser hätte wahrnehmen können als von seiner Arche aus, auch wenn diese fensterlos war und Nacht auf Erden herrschte.« (Proust, S.194) Hier belegt De Botton, dass eigentlich nur unser geistiges Auge im Stande ist, Gesehenes richtig zu würdigen. Und Details erkennen, die wir vorher gesehen, aber nicht wahrgenommen haben.

Mein Resümee aus diesem Text ist die Erkenntnis, dass wir die Welt der Menschen nicht mit unseren Augen sehen sollten, sondern unsere Welt mit den Augen der anderen. Diese Sichtweise vertritt auch Heinz von Förster und ermöglicht uns, mit wohl gewählten Worten unser Gegenüber für Dinge zu sensibilisieren, die es sonst abwinken würde. Eine gute Argumentation fängt beim Zuhören an, geht in sich hineinversetzen weiter und schliesst mit dem anpassen des Vokabulars an das Gegenüber. Diese Erkenntnis hilft mir als Designerin die richtigen Fragen zu stellen. Nicht nur in Diskussionen sondern auch mit Produkten zum Nachdenken und Handeln anzuregen/anzuleiten. Proust entwickelt verschieden Strategien, durch den Aufbau seiner Charaktere, zum Einfühlen, Nachdenken und Reflektieren. Er gibt konkrete Handlungsanweisungen, wie der Besuch in einem Museum mit dem Blick auf einen bestimmten Maler, die einem Protagonisten die Augen öffnen. Diese Beispiele lassen sich nicht 1:1 übertragen, aber geben Inspiration sowie Mut meine eigene Ausdrucksweise und Sprache zu entwicklen. Ganz im Sinne von Florian Pfeffer, der die neue Rolle des Designers als Vermittler und Gestalter der komplexen Anforderungen unseres Lebens sieht. Und jeder der entwirft und handelt verändert die Welt.

Weiterführend
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Marcel Proust — Menschenbild und Analyse
https://de.wikipedia.org/wiki/Auf_der_Suche_nach_der_verlorenen_Zeit

School of Life, Alain de Botton — Bildung zum Leben
http://www.theschooloflife.com
https://en.wikipedia.org/wiki/The_School_of_Life

Living Architecture, Alain de Botton — not-for-profit holiday home rental company
http://www.living-architecture.co.uk
https://en.wikipedia.org/wiki/Living_Architecture

Relevanz
Einblick in das Thema Wahrnehmung, Einfühlen, Wege die Sichtweise zu ändern, Kommunikation, Vermittlung

Weiterverarbeitung
Kapitel zur Wahrnehmung und Handlungsmöglichkeiten
ggf. auch als Bespiel, wo Gestalter politisch sind

Vernetzungen
Flintoff
Förster
Pfeffer
Proust

Florian Pfeffer »To Do: Die neue Rolle der Gestaltung in einer veränderten Welt«

Pfeffer, F. (2014). To Do: Die neue Rolle der Gestaltung in einer veränderten Welt: Strategien, Werkzeuge, Geschäftsmodelle. Mainz: Verlag Hermann Schmidt Mainz.

Gelesen / Exzerpt: 7.8. – 12.8.2015 / 7.8. + 12.8.2015
Standort: eigene Sammlung

Abstakt

Pfeffer eröffnet ein Design-Diskurs und nimmt die aktuellen Strömungen von Design unter die Lupe. Dabei befragt er die Entstehungsgeschichte, zeitliche Veränderungen, sowie Herausforderungen in unserer global-vernetzten, social-verteilten und ökologisch-prekären Welt. Was kann Design leisten und was nicht? Was sind Pioniere? Welche Werkzeuge, Strategien und Geschäftsmodelle gibt es, mit welcher Motivation und Intention? Wie können wir die Welt neu erfinden und unseren Kinder damit zumindest eine kreative Denk- sowie Handlungsweise mit auf den Weg geben. Pfeffer führt kurz ins Thema ein und widmet sich 100 Projekten, die als Auswahl zeigen, wo die Reise hingeht und was uns zu inspirieren vermag. Florian Pfeffer ist Gründer des von 1998 bis 2013 internationalen Wettbewerbs :output für Design-Studienarbeiten und Herausgeber der gleichnamigen Jahrbücher.

Ausarbeitung

»Neue Landschaften formen neue Sprachen.« (Pfeffer, S.14)
Als Einleitung beschreibt Pfeffer, wie er das erste Mal eine Weltkarte mit Indonesien im Zentrum gesehen hat. Er hatte die Karte anfangs für einen Rohschach-Test gehalten. Erst der Wetterbericht hat ihm die Augen geöffnet. Eine ähnliche Geschichte habe ich von Judith Schalansky im »Atlas der abgelegenen Inseln« gelesen. Mir ging es nicht viel anders. Dadurch verändert sich der Blickwinkel und es entsteht ein neues Bild auf das gleiche Objekt. Die Erkenntnis: »Die Wahrheit ist, dass es keine Wahrheit mehr gibt.« (S.20) Besser gesagt, nie gegeben hat. Heinz von Förster hat dieses Phänomen ebenfalls treffend formuliert »Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen.« Wir sehen ein Objekt, Thema, Sachverhalt meistens nur von einer nämlich unserer Seite. Die anderen bleiben im Dunkeln. Erst durch ein Herumlaufen und Beleuchten wird die Komplexität sichtbar. Verschiedene Kunstformen, wie Malerei, Literatur, Musik, Tanz aber auch Philosophie entwerfen diese Wandlungen. »Das Design der Zukunft ist mit der Frage konfrontiert, wie wir Komplexität aushalten und gestalten können.« (S.20)

Pfeffer schlussfolgert mit dem Blick auf die Designgeschichte, dass wir uns in der dritten Revolution befinden. Die 1. ging mit der Erfindung der Dampfmaschine und damit dem Wandel der Produktionsverfahren einher, die 2. mit der Elektrizität und Verbreitung der Massenmedien. Die 3. hat Ihren Ursprung in der Globalisierung und macht das Ausmass an der Vernetzung von Datenströmen, ökologischen Problemen und der Überdehnung des sozialen Systems sichtbar. Eine berechtigte Frage ist: »Ist die Art und Weise, wie wir bisher gelebt, gearbeitet, produziert und konsumiert haben, intelligent genug? Welche Alternativen können wir erzeugen?« (S.22) »Diese Revolution braucht weniger Symbole und mehr Substanz, weniger Produkte und mehr Werkzeuge, weniger Hardware und mehr Software.« (S.22) Pfeffer zeigt drei Alternativen vor: von weiter machen wie bisher, über Rückzug bis hin zu Diskurs. Er plädiert für »die Auseinandersetzung von Design mit den komplexen und widerspenstigen Fragestellungen es modernen Lebens.« (S.23) »Kann Design mehr sein als eine blinde Innovationsmaschine, die uns hilft, darüber zu sprechen, was wir wollen« (S.23) Dabei nimmt Design die Rolle des Vermittlers ein: Erklärt, zeigt Handlungsräume auf und vertritt politische, sozialen sowie ethische Standpunkte/Haltungen. Der Designer als Politiker, Soziologe, Ethnograf, Arzt, Geistlicher, Komiker erfindet die Welt neu und trägt damit zum gesellschaftlichen Wandel bei.

In »Die Welt als Entwurf« beschreibt Otl Aicher »Design bezieht sich auf den kulturellen Zustand einer Epoche. Die heutige Welt ist definiert durch ihren Entwurfszustand.« — Dadurch wird jeder Entwerfer zum Weltgestalter. Pfeffer unterfüttert diese Sichtweise mit einem Beispiel von Buckminster Fuller, der während einer Kreuzfahrt von der Wirkung des Trimmruders erleuchtet wurde. Diese Kraft wird von Flintoff als Schmetterlingseffekte bezeichnet und findet sich auch in Prousts Leidenstheorie wieder. »Wie lässt sich Design als kritische Kraft in die Zukunft fortschreiben? Welche Möglichkeiten bietet Design, die neue Normalität zu gestalten? — Um die Welt zu gestalten, brauche ich keinen festen Standpunkt. Mit einem festen Standpunkt kann ich keinen Unterdruck erzeugen. Ich muss mich bewegen.«

evtl. Könnte meine Anleitung eine Art Atlas werden, der die verschiedenen Wege zeigt oder Sichtweisen auf ein Thema und wie sich dadurch das Objekt selbst verändert. Ein initiales Beispiel dafür wäre der Altas der vergessenen Inseln.

Weitere absurde Ideen, ein Kiosk mit Meinungen, Haltungen und deren Argumente. Oder eine Wundertüte. Oder Community basiert eine Plattform?

Weiterführend
Dymaxion, Buckminster Fuller — Pionier, Kartierung
https://de.wikipedia.org/wiki/Dymaxion#Dymaxion-Weltkarte

Design for the Real World, Victor Papanek, 1971 — Designer und Designphilosoph
https://de.wikipedia.org/wiki/Victor_Papanek
http://playpen.icomtek.csir.co.za/~acdc/education/Dr_Anvind_Gupa/Learners_Library_7_March_2007/Resources/books/designvictor.pdf

Changeist, Scott Smith — Aktivist
http://www.changeist.com
http://www.flowfestival.si/talk/scott-smith-changeist-2/

Adhokratie, Henry Mintzberg, 1980 — Ökonom
https://de.wikipedia.org/wiki/Adhokratie

Relevanz
Einblick in das Thema Aufgaben eines Designers, Möglichkeiten und Chancen die Welt als Designer zu verbessern, Kommunikation, Vermittlung

Weiterverarbeitung
Handlungsmöglichkeiten
Bespiele, wo Gestalter politisch sind

Vernetzungen
Button
Flintoff
Förster
Proust

John-Paul Flintoff »Wie man die Welt verändert«

Flintoff, J.-P. (2012). Wie man die Welt verändert: Kleine Philosophie der Lebenskunst. Zürich: Kailash München.
Originaltitel (2012). How to Change the World — The School of Life. London: MacMillan.

Gelesen / Exzerpt: 30.7. – 2.8.2015 / 5.8.2015
Standort: eigene Sammlung

Abstakt

In dem Buch geht es darum, wie ich als Mensch, als einzelne Person, zur Verbesserung der Welt beitragen kann. Angefangen vom Ändern der eigenen Sichtweise bis hin zum Aktionismus. Dabei legt Flintoff Wert drauf, dass im kleinen begonnen wird. Er zählt eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten auf, belegt diese mit berühmten sowie privaten Beispielen und stellt an den motivierten Leser Aufgaben. Diese sind in einem Appendix nochmals mit weiterführenden Literaturhinweisen zusammengefasst. Ebenso befindet sich im Anhang eine Veröffentlichung der »198 Methoden gewaltlosen Vorgehens« von Gene Sharp erschienen im Buch »Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden für die Befreiung«. John-Paul Flintoff ist Fakultätsmitglied der School of Life, die 2008 von Alain de Botton gegründet wurde.

Ausarbeitung

Ausgehend von der Fragestellung: Wie ich als Designerin aktiv werden kann, gibt mir der Text viele Ansätze und Antworten darauf, was ein einzelner Mensch in Bewegung setzen kann. Flintoff untermauert mit vielen Beispielen den Schmetterlingseffekt, oder wie es Florian Pfeffer nennt, das Hebelwirkungs-Prinzip. Allain de Botton schreibt in »Wie Marcel Proust Ihr Leben verändern kann« von gleichen Ansätzen. Ausgehend für jede Aktion ist, positiv zu denken. Im Kapitel »Mit der Schwarzseherei aufhören« beschreibt Flintoff, was wir alle sehr gut kennen. Pessimismus, Ohnmacht, Desinteresse, Vereinfachung, Trägheit, Faulheit. Bestätigt wurde das bravourös im Interview mit Henry Huferneuter, Vorstand des Bürgervereins Neustädter Markt in Leipzig. Die konkrete Aufgaben an den Leser in »Was treibt mich an?« habe ich selbst für mich beantwortet. Überraschend waren dabei die Antworten auf die Frage »Wer bin ich«. Hier haben sich über die verschiedenen Rollen, die ein Mensch, in diesem Fall ich selbst, hat, das Bewusstsein geändert. Schon allein der Akt des Schreibens hat Fragen aufgeworfen. Ressourcenverbraucher oder Stromkunde, Müllproduzent oder Abfallentsorger, Leipzigerin oder Stadtbürgerin. Ich wusste vorher durchaus schon, was meine Rollen sind, aber das Notieren, hilft mehr Klarheit durch Formulieren zu erlangen. Schon allein diese Wortfassung bestimmter Tätigkeiten erzeugt eine positive oder negative Konnotation. Mit welchen Tricks wir uns hier manchmal schon aus der Affäre ziehen, lässt sich sicher nicht sagen.

»Ein paar Gedanken zur Strategie« hilft dem Leser sein Themengebiet zu finden. Wertungen gibt es nicht. Ob es nun kleine Dinge sind, wie »Öfters mit den Kindern backen« (S.57) oder »Krieg, Armut, Umweltzerstörung, Hunger, …« (S.56). Dabei zählt nicht die Tat, sondern die Bedeutung, denn hinter »Öfters mit den Kindern backen [steht] das Beste, was unsere Vorfahren zu bieten hatten, an die noch ungeborenen Generationen weitergeben.« (S.57) Flintoff merkt dazu an »Wenn die Aufgabe, die Sie ins Auge gefasst haben, nicht unbedingt sehr ehrgeizig wirkt, liegt es vielleicht daran, dass Sie bewundernswert bescheiden sind und noch nicht die richtigen Worte gefunden haben, um ihre kosmische Bedeutung zu beschreiben.« Ausserdem schlägt er Kategorisierung vom Problemen vor, um sich zu verinnerlichen, welcher Art sie sind, und wer betroffen ist: (S.58f)
»1. Probleme, von denen jeder betroffen ist«, es aber keine vorstellbare Lösung gibt
»2. Probleme, von denen […] wenige Menschen betroffen sind«, oder Teile der Bevölkerung (Benachteiligung)
»3. Probleme, die für jedermann eine Bedrohung darstellen, aber nur von einer […] Minderheit erkannt werden« (Klimawandel, Bevölkerungszuwachs, Ressourcenknappheit)
»4. Keine Probleme, sondern Chancen.« Wie Stadtteilverschönerung, alternative Wahlsysteme, Urban Gardening, Nachbarschaftspflege, Hausprojekte. Flintoff gibt im Kapitel »Zeugnis ablegen« ein kleines Beispiel, wie er selbst mit Sokrates philosophischen Ansatz seinen Vermieter davon überzeugen konnte, die Mieterhöhung doch nicht durchzusetzen. (S. 83) Nachfolgenden stellt der Autor in »Was wir brauchen« und »Der erste Schritt« Methoden vor, wie man im Bekanntenkreis Unterstützer findet, was unsere Handlungen bewirken können und wie naheliegend, aber mutig und am Ende gesellschaftsändernd die 1. Tat sein kann.

Im zweiten Teil des Buches, gibt Flintoff konkrete Ratschläge, wie eine Aktion gestaltet werden kann. Dabei greift er wie schon im 1. Teil auf persönliche und weltbekannte Bespiele zurück. Neben »Auf Schönheit achten und Freude« zum Theme Ästhetik, »Der schnöde Mammon« zum Thema Finanzen, »Liebe hilft weiter« zum Thema Solidarität / Nächstenliebe, »Unser Zeil: Friedensnobelpreis« zum Thema politische Konfliktlösung liegt mein Augenmerk auf »Anreize schaffen«. Hier geht es darum, wie man auf Probleme blickt, wie man sie benennt, wie man ihnen Namen gibt, wie man über sie redet und letztendlich zum Diskurs macht. »Wenn wir davon sprechen, dass wir »Probleme« lösen müssen, kehren uns die Leute wahrscheinlich den Rücken zu oder gucken gelangweilt, denn meist assoziieren sie mit dem Wort »Problem« gleich etwas Übles und Unangenehmes.[…] Vor allem die Umweltbewegung mit ihrem schier endlos wiederholten Warnungen vor dem Untergang ist schuld daran, dass wir so mutlos geworden sind.« (S.137) »Die große Aufgabe besteht also darin, Pflicht und persönliches Interesse zur Deckung zu bringen und zu fragen, Wie können wir der guten Sache einen Reiz abgewinnen, statt sie als Notwendigkeit zu präsentieren.« Als Bespiele nennt er die Green Belt Movement von Wangari Maathai 1977 in Kenia gegründet (S.139), die »Transition-Town-Bewegung« von Rob Hopkins 2005 in England ins Leben gerufen und ein eigenes Experiment mit seinen Nachbarn.

Es geht im weitesten Sinne um Kommunikation im engsten um Interaktion. Die Art der Kommunikation bestimmt die Debatte, den Austausch, die Handlungsmöglichkeiten und die Aktionen. An diesem Punkt schliesst sich der Kreis zum Thema Wahrnehmungsveränderung / Perspektivwechsel und dem Interview mit Henry Huferneuter, dem Text von Allain de Button über Marcel Prost, den Methoden der Situationistischen Internationalen und sicher noch vielen anderen. Nach Marcel Prost gibt es zwei wichtige Dinge: richtig lesen und richtig sehen. Ich würde hier noch richtig sprechen mit dem Verweis auf Heinz von Förster hinzufügen »Der Hörer bestimmt den Inhalt einer Aussage, nicht der Sprecher«. Im Kern: sich in sein Gegenüber einzufühlen, zu verstehen, die besten Handlungsmöglichkeiten in seinem Sinne aufzudecken, auch wenn man selbst diese Erfahrung nicht gemacht hat und das eigene Leben wertzuschätzen, indem man die Details, Besonderheiten, Momente, Sehnsüchte, Wünsche sieht, pflegt und lieben lernt. Rob Hopkins gibt ein Motivationshilfe: »Sie schicken sich selbst eine fröhliche Postkarte aus der Zukunft« (S.143)

Weiterführend
Triodos — »größte Nachhaltigkeitsbank in Europa«
https://www.triodos.de
https://de.wikipedia.org/wiki/Triodos_Bank

»Giving What We Can«, Toby Ord — cost-effective poverty relief
https://www.givingwhatwecan.org
https://en.wikipedia.org/wiki/Giving_What_We_Can

Transition Town Bewegung, Rob Hopkins — Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen, Permakultur
http://www.transition-initiativen.de
https://de.wikipedia.org/wiki/Transition_Towns

Relevanz
Einblick zu den Themem »selbst aktiv werden«, Aktionismus, Anreize schaffen, Kommunikation, Vermittlung

Weiterverarbeitung
»Was machen andere?«, Schulterblick
Kapitel: 1 Gegenstand und 2 Bestandsaufnahme

Vernetzungen
Botton
Förster
Hufenreuter
Pfeffer
Proust

Presseschau 5. August 2015

»Wir sollten besorgt sein«

Kuhn, Daniel: Wir sollten besorgt sein. In: der Freitag (3.7.2015), Online.
https://www.freitag.de/autoren/netzpiloten/wir-sollten-besorgt-sein

»Nachrichten Apple stellt derzeit Journalisten ein, die Artikel für die kommende News-App schreiben. Dies erhöht aber auch die Gefahr, dass der Konzern seine Machtposition missbraucht«

Soviel zum Thema Transparent, Sichtbarkeit und barrierefreier Zugang. Die Open Data City wird zur Authorized Content Cell. Ein Schritt in die Zukunft? Wohl kaum. Wenn Journalisten von Großkonzernen bezahlt werden, und dass hat uns schon die Geschichte mit dem Springer-Verlag gelehrt, ist das kein Weg der verfolgt, unterstützt und eingeschlagen werden sollte.

»Neoliberal wird zu neofeudal«

Markwardt, Nils: Neoliberal wird zu neofeudal. In: der Freitag (5.8.2015), Online.
https://www.freitag.de/autoren/nils-markwardt/neoliberal-wird-zu-neofeudal

»Behörden: Häufig dauert es Monate, bis bei den Berliner Ämtern ein Termin frei ist. Gegen Geld geht es schneller«

Die Ökonomisierung der Verwaltung und des Bürgers. Wann ist die Demokratie dran?

»Guerilla-Aktion in Freital: Nazis essen heimlich Falafel«

Knuth, Hannah: Guerilla-Aktion in Freital: »Nazis essen heimlich Falafel«. In Spiegel Online (24.7.2015).
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/freital-heimliche-guerilla-aktion-gegen-rassismus-a-1045200.html

»Dies Irae« (Tag des Zorns) gehört der AdBusting-Bewegung an und hat in der Nacht vom 23. zum 24. Juli eine Guerilla-Anti-Rassismus-Kampagne in Freital initiiert. Die Künstlergruppe überklebte Werbeplakate und äusserte sich zur SPIEGEL ONLINE Redaktion: »Wir definieren uns als politische und selbst-denkende Menschen, die den öffentlichen Raum von der visuellen Umweltverschmutzung, auch Außenwerbung genannt, befreien. Wir meinen, dass es legitim ist, den öffentlichen Raum anzueignen – statt ihn der Werbeindustrie zu überlassen«.

Die Aktion zeigt, wie mit wenigen Mitteln für Aufmerksamkeit gesorgt werden kann. Die Resonanz der Bevölkerung ist leider nicht ersichtlich und die Wirkung nicht messbar. Die Plakate wurden am Tag darauf von dem zuständigen Unternehmen wieder entfernt. Hier stellt sich die Frage, ob eine festinstallierte Intervention einer Adhoc-Aktion vorzuziehen wäre, so dass der öffentliche Raum über einen längeren Zeitraum besetzt ist. Ausserdem wäre zu überlegen, ob eine positive oder negative Aussage für mehr Aufsehen sorgt. In diesem Falle gab negative, wobei berechtigterweise die Frage nach der Unterstützung gestellt werden muss, wenn negative Publicity auf der Tagesordnung steht. Humor ist gut, sollte aber nicht in Zynismus verfallen. Ebenso sind Anschuldigungen von Klischeegruppen fragwürdig. Wer würde sich selbst schon als Nazi oder Rassist bezeichnen?

Presseschau 23. Juli 2015

»Kommt nicht alle nach Paris!«

Schwarz, Susanne: Kommt nicht alle nach Paris!. Interview mit Tadzio Müller. In: der Freitag (2015), Nr. 30, S. 7.

In dem Interview erklärt Tadzio Müller, dass es nicht immer sinnvoll ist, wenn 100.000 Demonstranten auf eine Protest auftauchen. Er spricht davon, dass diese Energien verteilt und gezielt eingesetzt werden sollten. Es würde andere Effekte ergeben, wenn man nicht einmal im Jahr zu einer Demonstration geht, die sowieso stark besucht ist, und dann vielleicht noch hunderte Kilometer entfernt ist, sondern lieber nicht populäre regionale Aktionen unterstützt. Damit werden kleiner Aktion gestärkt und es gibt gleichmäßige Aktionen über das ganze Jahr anstatt eine riesige, die medial »ausgeschlachtet« wird.

Ich finde diesen Gedankengang inspirierend. Weiter gedacht, würde das heissen, dass sich gezielt an Aktionen beteiligen, die in Ihrer Umgebung sind und somit auch regional auf Missstände aufmerksam machen. Veränderung fängt in einer Demokratie immer im Kleinen an. Und wenn viele Menschen sich eine Haltung aneignen und gemeinnützig handeln, haben wir eine Chance Gesetzesänderungen selbstbewusst einzufordern und nicht nur über einzelne Interessengruppen abstimmen zu lassen.

Fragen
Aber wie können sich Bürger strategisch aktiv organisieren, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen und Handlungen einzufordern? Hier würde vielleicht ein kleines E-Mail- oder Telefon-Interview mit Tadzio Müller Aufschluss geben.

»Spielwiese für Querdenker«

Hasenheit, Marius: Spielwiese für Querdenker. In: der Freitag (2015), Nr. 30, S. 19.

»Utopival« ist ein geldfreier Kongress in der Nähe vom Köln der Anfang August stattfindet. Das Ziel: ohne Geld das Festival zu bestreiten. Dafür werden verkaufsuntaugliche Lebensmittel organisiert, kostenfreie Veranstaltungsräume von Überzeugten gestellt und die 100 Tickets verlost. Es gibt keine Honorare, keine Ausgaben. Das Konzept funktioniert nur im abgesteckten Rahmen. Die Organisatoren sind noch familienversichert und können es sich somit leisten »kostenfrei« zu leben. Hier greift meiner Meinung nach das gleiche Problem, dass auch bei »Aussteigern«, wie Wagenburgen existiert — ein Teil der staatlichen Fürsorge wird an dieser stelle ausgeblendet. Ich finde den Ansatz grundsätzlich gut, aber den falschen Idealismus als das »bessere« darzustellen funktioniert nur unkritisch. Solidarität ist ein Konzept, dass auf Teilnahmen, Mitgefühl, Gerechtigkeit und Gemeinschaftssinn aufgebaut ist. In solch einem Rahmen einen Kongress, Festival oder Gemeinschaft aufzubauen finde ich eine zukunftsweisende Idee. Allerdings sollten hier versteckte Geldquellen aufgelegt und transparent gemacht werden. Und wie lässt es sich »ohne Geld« leben, wenn unser Staat uns mit Gesundheitsvorsorgen, Wohngeld und kostenloser Bildung versorgt? An dieser Stelle könnte der Staat gleich für alle Bürger aufkommen, aber wer finanziert den Staat, wenn es keine Steuern gibt? Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Staat für nichts aufkommt, aber was passiert dann mit benachteiligten Menschen?

Fragen
Was ist mit den Ausgaben für die Webseite, Webspace, Druck von Tickets, Materialien, Anreisekosten, …

»Hand aufs Haupt«, S. 21

Markwandt, Nils: Hand aufs Haupt. In: der Freitag (2015), Nr. 30, S. 21.

Nils berichtet über die Macht der Empfindsamkeit in der Politik und beginnt mit einer Anekdote von Friedrich II., die die Historikerin Ute Frevert in Ihrem Buch »Gefühlspolitik« analysiert.
»Affektive Empfindungen und Einstellungen«, schreibt Frevert, waren »hier nicht Motive, sondern Ressourcen, Werkzeuge und Objekte des Handelns.

Presseschau 20. Juli 2015

»Google sperrt braune Karte«

Börgers, Torben: Google sperrt »braune Karte«. Wirbel um Asylbewerberheim-Kampagne. In: Tagesschau (17.7.2015), Online.
https://www.tagesschau.de/inland/googlekarte-101.html

»Eine bei Google veröffentlichte Karte mit Flüchtlingsunterkünften hat für Wirbel gesorgt. Die Karte war im Zuge einer Kampagne unter der Überschrift »Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft« erstellt worden. Sie wurde jetzt nach heftiger Kritik gesperrt.«

So könnte auch die Open Data City aussehen. Offene transparente Daten müssen nicht zwangsläufig einem guten Zweck dienen. Und hier liegt keine Manipulation der Daten vor, sondern eine politisch motivierte Nutzung. Ist das gleichzeitig eine Straftat? Dürfen diese Informationen gelöscht werden? Eine komplexe Frage, die nicht nur viele Sichtweisen hat sondern auch viele Gesichter.

Presseschau 15. Juli 2015

30. Mai oder Tausend Jahre Leipzig (Kommentar)

Hufenreuter, Henry: 30. Mai oder Tausend Jahre Leipzig. Kommentar. In: Neustädter Markt Journal (2015), Nr. 2, S. 41.

Mit der »Parade der Unsichtbaren«, trugen am 30. Mai 2015 die »etwa tausend, jüngere, meist wohl links oder alternativ orientierte Menschen« den kreativen Protest »diesmal angenehm friedlich, in die Innenstadt. Sie wollten auf jene aufmerksam machen, an denen der Boom Leipzigs vorbei geht: Arme, Alte, Ausländer, Ausgegrenzte. Erstaunlich nur, dass jene, zu deren Anwälten man sich machte, im Zug eher fehlten. Hier wie auf der anderen Seite offenbar Wahrnehmungs- und Identifikationsprobleme.« (Hufenreuter, S.41)

Hier zeigen sich gleich mehrere »Probleme«, die in der ganzen Stadt zu spüren sind. Zum einen gibt es eine Antikapitalismushaltung in der jüngeren Bevölkerung. Das ist vor allem die Wende-Generation, die in der Übergangszeit die Freiräume für sich entdeckt und genutzt hat. Gleichzeitig spricht diese Gruppe nur für sich und schiebt gern andere »Ausgegrenzte« vor, um sich besser rechtfertigen zu können. Die genannten Gruppen sind aber nie vertreten. Hier geht es einfach nur um Protest, Antipathie, Engstirnigkeit und vor allem Desinteresse. Ich weiss das so gut, weil ich selbst viel mit diesen Menschen zu tun hatte. Um eine ehrliche Haltung gegenüber Armen, Alten, Ausländern und Ausgegrenzten geht es hier leider nicht. Und ebenfalls nicht um einen Dialog mit diesen. Henry Hufenreuter hat das sehr präzise und undogmatisch in seinem Kommentar zusammengefasst. Ein weiteres »Problem« ist, dass die Idententifikation mit Leipzig fehlt. Die Stadt selbst möchte eine »« (Zitat Stadtmarketing) und in die Zukunft gehen. Damit können sich aber nur Menschen identifizieren, die entsprechend die Spielregeln kennen und mit einem gewissen Budget ausgestattet sind. Das betrifft vor allem Zugezogene, oder vorübergehend Weggezogenem die mit gefüllten Konten oder guten Stellenangeboten nach Leipzig ziehen. Die Leipziger selbst, haben eher andere Sorgen. Leipzig hat die »höchste Arbeitslosenquote in Deutschland« (Quelle) und das Präkariat wächst weiter. Die Stadt will feiern und gute Stimmung machen, aber jenseits der Immobilienbranche, gibt es keinen Grund dafür.

Es gibt viel Unsichtbares in Leipzig, aber stigmatisieren würde ich dafür keine Menschen. Hier stellen sich direkt die Fragen:
Wer ist Arm?
Wer ist Alt?
Wer ist Ausländer?
Wer ist Ausgegrenzt?
Was ist mit Kinder, Frauen und Invaliden? ;)

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