Botton

Alain de Botton »Wie Proust Ihr Leben verändern kann«

De Botton, A. (2015). Wie Proust Ihr Leben verändern kann: Eine Anleitung. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.
Originaltitel (1997). How Proust Can Change Your Life. London: Picador Macmillan.

Gelesen / Exzerpt: 2.8. – 7.8.2015 / 7.8.2015
Standort: eigene Sammlung

Abstakt

De Botton nimmt sich Prousts Werk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« vor und erstellt daraus eine Anleitung, was wir von ihm lernen können. Dabei rückt er besonders die Wahrnehmung, Sensibilität und Aufmerksamkeit in den Fokus. Die Kapitel widmen sich jeweils einem Thema, dass einer Frage voran geht, die mit Passagen aus dem Werk, Briefen oder biografischen Begebenheiten erörtert wir. Neben den Kapiteln »Wie man das Leben heute liebt«, »Wie man richtig liest«, »Wie man sich Zeit nimmt«, »Wie man erfolgreich leidet«, »Wie man seinen Gefühlen Ausdruck verleiht«, »Wie man Freundschaften pflegt«, »Wie man in der Liebe glücklich wird« und »Wie man ein Buch aus der Hand legt« liegt mein Fokus auf »Wie man sehen lernt«. Alain de Botton ist Philosoph unseres Alltagslebens und hat in London die »School of Life« und »Living Architecture« gegründet.

Ausarbeitung

Der Text gibt mir nicht direkt antworten auf meine Fragestellung: Wie ich als Designerin aktiv werden kann, sondern hilft mehr eher philosophisch, wie man sich einem Thema annimmt und damit umgeht. Dabei sieht Proust den Menschen immer als handelnder Akteur, als Homo leidens/handelns, der nur durch Schmerz oder ein negatives Ereignis in der Lage ist zu Lernen. »Proust zufolge lernen wir überhaupt nur dann etwas, wenn wir auf ein Problem stoßen, wenn wir Schmerz empfinden, wenn etwas nicht so läuft, wie wir es uns erhofft hatten.« (De Botton, S.83) »Es ist doch so, dass nur das Leiden an einer Sache es uns möglich macht, deren Mechanismen, welche man sonst gar nicht kennen würde, zu bemerken, zu begreifen und zu analysieren. […] Ein lückenloses Gedächtnis ist kein sehr mächtiger Anreger, um die Phänomene des Gedächtnisses zu studieren.« (Proust, S.83) »Obwohl wir natürlich nicht unbedingt Schmerzen empfinden müssen, um unseren Verstand zu gebrauchen, geht Proust davon aus, dass wir nur in Notsituationen wirklich neugierig sind. Wir leiden, also denken wir, weil das Denken uns hilft, den Schmerz in einen Zusammenhang zu stellen, seinen Ursprung zu ergründen, seine Dimensionen auszuloten und uns mit seinem Vorhandensein anzufreunden.« (S.84) »Daraus folgt, dass es Ideen, die nicht unter Schmerzen geboren wurden, an einer entscheidenden Motivationsquelle gebricht.« In einem Beispiel im Kapitel »Wie man erfolgreich leidet« erhält ein Bräutigam einen bösen Brief, der seine zukünftige Gattin wüst beschimpft. Dieser sucht nun in Gedanken herauszufinden, welcher seiner Freunde oder Bekannten ihm diesen Brief geschrieben haben könnte. »Sein Geist hat sich verschleiert, […] und dabei ist ihm eine der, […] fundamentalen Eigenschaften von Verrat und Eifersucht entgangen — nämlich dass sie in der Lage ist, die intellektuelle Motivation zu schaffen, welche es uns ermöglicht, die dunklen Seiten unserer Mitmenschen zu ergründen.« (De Botton, S.101) Ganz nach dem Motto, Du kannst nur das anderen zutrauen, dass du vorher selbst erdacht hast. Oder, wie es mir gestern einer Flüchtlingsdiskussion aufgefallen ist: Ich kann nur anderen böse Absichten unterstellen, wenn ich es mir selbst vorstellen und aussprechen kann. Damit bin ich selbst schon auf bestimmte Situationen eingestellt, und habe ein sensibleres Organ für diese. Die Sensoren schlagen dann schneller an und schon der kleinste/leiseste Verdacht, wird uns davon überzeugen, dass wir es ja »gewusst« haben. Die Gefahr ist, dass unterschiedliche Situationen mit völlig anderen Ausgangsparametern nicht mehr differenziert werden können und alles auf ein Beispiel reduziert und somit pauschalisiert wird.

Im Kapitel »Wie man sehen lernt« stellt De Button die These auf, dass richtig sehen »zu der Erkenntnis verhilft, dass nicht das Leben mittelmäßig war, sondern das Bild«. (De Button, S.169f) Proust äussert sich dazu »Das bewusste Gedächtnis, das Gedächtnis der Intelligenz und der Augen, geben uns von der Vergangenheit nur ungenaue Faksimile wieder […] so dass wir das Leben nicht schön finden, weil wir es nicht in die Erinnerung zurückrufen — kaum aber nehmen wir einen Duft von früher wahr, wie sind wir dann plötzlich berauscht! und ebenso glauben wir die Toten nicht mehr zu lieben, aber nur deshalb, weil wir sie uns nicht ins Gedächtnis zurückrufen; sehen wir aber plötzlich einen alten Handschuh wieder, brechen wir in Tränen aus.« (Proust, S.170) »Die Bilder, die uns umgeben, sind jedoch oft nicht nur veraltet, sondern auch von trügerischer Opulenz. Wenn Proust uns drängt, die Welt unvoreingenommen zu betrachten, führt er uns immer wieder den Wert bescheidener Szenen vor Augen.« (De Button, S.178) »Der Reiz eindimensionaler Bilder liegt in ihrer mangelnden Mehrdeutigkeit.« (De Button, S.184) Im Kapitel »Wie man in der Liebe glücklich wird« führt De Button einen Dialog mit Proust. Er fragt diesen »Warum stumpf die Gewohnheit der Menschen ab?« Proust antwortet, dass er durch häufige Krankheit selbst viele Tage im Bett verbracht hat. »Da begriff ich, dass Noah die Welt niemals besser hätte wahrnehmen können als von seiner Arche aus, auch wenn diese fensterlos war und Nacht auf Erden herrschte.« (Proust, S.194) Hier belegt De Botton, dass eigentlich nur unser geistiges Auge im Stande ist, Gesehenes richtig zu würdigen. Und Details erkennen, die wir vorher gesehen, aber nicht wahrgenommen haben.

Mein Resümee aus diesem Text ist die Erkenntnis, dass wir die Welt der Menschen nicht mit unseren Augen sehen sollten, sondern unsere Welt mit den Augen der anderen. Diese Sichtweise vertritt auch Heinz von Förster und ermöglicht uns, mit wohl gewählten Worten unser Gegenüber für Dinge zu sensibilisieren, die es sonst abwinken würde. Eine gute Argumentation fängt beim Zuhören an, geht in sich hineinversetzen weiter und schliesst mit dem anpassen des Vokabulars an das Gegenüber. Diese Erkenntnis hilft mir als Designerin die richtigen Fragen zu stellen. Nicht nur in Diskussionen sondern auch mit Produkten zum Nachdenken und Handeln anzuregen/anzuleiten. Proust entwickelt verschieden Strategien, durch den Aufbau seiner Charaktere, zum Einfühlen, Nachdenken und Reflektieren. Er gibt konkrete Handlungsanweisungen, wie der Besuch in einem Museum mit dem Blick auf einen bestimmten Maler, die einem Protagonisten die Augen öffnen. Diese Beispiele lassen sich nicht 1:1 übertragen, aber geben Inspiration sowie Mut meine eigene Ausdrucksweise und Sprache zu entwicklen. Ganz im Sinne von Florian Pfeffer, der die neue Rolle des Designers als Vermittler und Gestalter der komplexen Anforderungen unseres Lebens sieht. Und jeder der entwirft und handelt verändert die Welt.

Weiterführend
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Marcel Proust — Menschenbild und Analyse
https://de.wikipedia.org/wiki/Auf_der_Suche_nach_der_verlorenen_Zeit

School of Life, Alain de Botton — Bildung zum Leben
http://www.theschooloflife.com
https://en.wikipedia.org/wiki/The_School_of_Life

Living Architecture, Alain de Botton — not-for-profit holiday home rental company
http://www.living-architecture.co.uk
https://en.wikipedia.org/wiki/Living_Architecture

Relevanz
Einblick in das Thema Wahrnehmung, Einfühlen, Wege die Sichtweise zu ändern, Kommunikation, Vermittlung

Weiterverarbeitung
Kapitel zur Wahrnehmung und Handlungsmöglichkeiten
ggf. auch als Bespiel, wo Gestalter politisch sind

Vernetzungen
Flintoff
Förster
Pfeffer
Proust

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