SPURLOG Journal No.1

Begonnen hat alles im Februar 2013. Die Geografin und gute Freundin Katja Manz fragte mich, ob ich, Interaction Designerin, Ihr helfen könnte den interaktiven Stadtteilführer »SonnenbergERleben« für das Quartiersmanagement der Stadt Chemnitz umzusetzen. Begleitend von acht Bachelor-Studenten wurden im Rahmen eines Semester-Seminars Spaziergänge mit Stadtteil- Bewohnern durchgeführt. Die erhoben Daten sind von mir als multimediale, geo-referenzierte App gestaltet und veröffentlicht wurden. Das Projekt stiess auf positive Resonanz und beförderte den Austausch zwischen den separierten Vierteln. Im November 2014 kam der Folgeauftrag von Birgit Glorius und Katja Manz aus Chemnitz »Denkwerk — Industriegeschichte erleben«. Zwei Wochen später, bei einem Kurzurlaub in Madrid, entspann die Idee, dieses Projekt zu nutzen, um den langersehnten Masterab- schluss in Angriff zu nehmen. Gesagt, getan. Nach einigen Tele- fonaten und einer umfangreichen Bewerbung begann am 16. Februar 2015 mein Masterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste im Department Design Vertiefung Interaktion.
Dieses Journal ist eine Dokumentation und zeigt (fast) chronolo- gisch meine Themenrecherchen, Zwischenstände, Unterhaltungen, Gedankengänge, Skizzen, Vorgehensweisen, gestalterische Experimente und Abgaben im 1. Semester.

»SPURLOG Journal No.1«, Mary-Anne Kockel
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Presseschau 23. Juli 2015

»Kommt nicht alle nach Paris!«

Schwarz, Susanne: Kommt nicht alle nach Paris!. Interview mit Tadzio Müller. In: der Freitag (2015), Nr. 30, S. 7.

In dem Interview erklärt Tadzio Müller, dass es nicht immer sinnvoll ist, wenn 100.000 Demonstranten auf eine Protest auftauchen. Er spricht davon, dass diese Energien verteilt und gezielt eingesetzt werden sollten. Es würde andere Effekte ergeben, wenn man nicht einmal im Jahr zu einer Demonstration geht, die sowieso stark besucht ist, und dann vielleicht noch hunderte Kilometer entfernt ist, sondern lieber nicht populäre regionale Aktionen unterstützt. Damit werden kleiner Aktion gestärkt und es gibt gleichmäßige Aktionen über das ganze Jahr anstatt eine riesige, die medial »ausgeschlachtet« wird.

Ich finde diesen Gedankengang inspirierend. Weiter gedacht, würde das heissen, dass sich gezielt an Aktionen beteiligen, die in Ihrer Umgebung sind und somit auch regional auf Missstände aufmerksam machen. Veränderung fängt in einer Demokratie immer im Kleinen an. Und wenn viele Menschen sich eine Haltung aneignen und gemeinnützig handeln, haben wir eine Chance Gesetzesänderungen selbstbewusst einzufordern und nicht nur über einzelne Interessengruppen abstimmen zu lassen.

Fragen
Aber wie können sich Bürger strategisch aktiv organisieren, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen und Handlungen einzufordern? Hier würde vielleicht ein kleines E-Mail- oder Telefon-Interview mit Tadzio Müller Aufschluss geben.

»Spielwiese für Querdenker«

Hasenheit, Marius: Spielwiese für Querdenker. In: der Freitag (2015), Nr. 30, S. 19.

»Utopival« ist ein geldfreier Kongress in der Nähe vom Köln der Anfang August stattfindet. Das Ziel: ohne Geld das Festival zu bestreiten. Dafür werden verkaufsuntaugliche Lebensmittel organisiert, kostenfreie Veranstaltungsräume von Überzeugten gestellt und die 100 Tickets verlost. Es gibt keine Honorare, keine Ausgaben. Das Konzept funktioniert nur im abgesteckten Rahmen. Die Organisatoren sind noch familienversichert und können es sich somit leisten »kostenfrei« zu leben. Hier greift meiner Meinung nach das gleiche Problem, dass auch bei »Aussteigern«, wie Wagenburgen existiert — ein Teil der staatlichen Fürsorge wird an dieser stelle ausgeblendet. Ich finde den Ansatz grundsätzlich gut, aber den falschen Idealismus als das »bessere« darzustellen funktioniert nur unkritisch. Solidarität ist ein Konzept, dass auf Teilnahmen, Mitgefühl, Gerechtigkeit und Gemeinschaftssinn aufgebaut ist. In solch einem Rahmen einen Kongress, Festival oder Gemeinschaft aufzubauen finde ich eine zukunftsweisende Idee. Allerdings sollten hier versteckte Geldquellen aufgelegt und transparent gemacht werden. Und wie lässt es sich »ohne Geld« leben, wenn unser Staat uns mit Gesundheitsvorsorgen, Wohngeld und kostenloser Bildung versorgt? An dieser Stelle könnte der Staat gleich für alle Bürger aufkommen, aber wer finanziert den Staat, wenn es keine Steuern gibt? Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Staat für nichts aufkommt, aber was passiert dann mit benachteiligten Menschen?

Fragen
Was ist mit den Ausgaben für die Webseite, Webspace, Druck von Tickets, Materialien, Anreisekosten, …

»Hand aufs Haupt«, S. 21

Markwandt, Nils: Hand aufs Haupt. In: der Freitag (2015), Nr. 30, S. 21.

Nils berichtet über die Macht der Empfindsamkeit in der Politik und beginnt mit einer Anekdote von Friedrich II., die die Historikerin Ute Frevert in Ihrem Buch »Gefühlspolitik« analysiert.
»Affektive Empfindungen und Einstellungen«, schreibt Frevert, waren »hier nicht Motive, sondern Ressourcen, Werkzeuge und Objekte des Handelns.

Anschreiben Interviews

Sehr geehrte Frau/Herr XXX,

im Rahmen meiner Masterarbeit im Bereich Design Vertiefung Interaktion an der Zürcher Hochschule der Künste führe ich eine Interview-Serie durch. Ich beschäftige mich mit dem Thema, Critical Design, wie Designer politisch aktiv werden können und richte hier mein Schwerpunkt auf Transparenz, Sichtbarkeit und Zugang von Informationen. Nach einigen Recherchen bin ich auf Ihre Organisation aufmerksam geworden und würde Sie gern zu Ihrer Unternehmensstruktur, Kundenpflege, Projektbetrieb und die Möglichkeiten zu Handeln persönlich interviewen.

Der Zeitraum des Gesprächs ist für maximal eine Stunde in von Ihnen gewünschten Räumlichkeiten geplant und soll akustisch aufgezeichnet werden. Vor dem Interview können Sie über eine Einverständniserklärung entscheiden, ob und wie die Daten von mir weiterverarbeitet werden dürfen.

Würden Sie mir für Fragen zu Verfügung stehen? Wenn ja, können Sie mir einen Termin vorschlagen?

Meine Kontaktdaten:
Mary-Anne Kockel
+491778932136
info@paka.me

Vielen Dank für Ihr Interesse.

Mit freundlichem Gruß,
Mary-Anne Kockel

Presseschau 20. Juli 2015

»Google sperrt braune Karte«

Börgers, Torben: Google sperrt »braune Karte«. Wirbel um Asylbewerberheim-Kampagne. In: Tagesschau (17.7.2015), Online.
https://www.tagesschau.de/inland/googlekarte-101.html

»Eine bei Google veröffentlichte Karte mit Flüchtlingsunterkünften hat für Wirbel gesorgt. Die Karte war im Zuge einer Kampagne unter der Überschrift »Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft« erstellt worden. Sie wurde jetzt nach heftiger Kritik gesperrt.«

So könnte auch die Open Data City aussehen. Offene transparente Daten müssen nicht zwangsläufig einem guten Zweck dienen. Und hier liegt keine Manipulation der Daten vor, sondern eine politisch motivierte Nutzung. Ist das gleichzeitig eine Straftat? Dürfen diese Informationen gelöscht werden? Eine komplexe Frage, die nicht nur viele Sichtweisen hat sondern auch viele Gesichter.

Wie führe ich ein Interview?

Um mehr über mein Thema in Erfahrung zu bringen, einen Einblick in unterschiedliche Organisationsstrukturen zu erlangen und einen Fokus bzw. eine Fragestellung zu erarbeiten werden ich einige Experten interviewen. Dafür suche ich mir im 1. Schritt aus drei verschiedenen Bereichen Personen, Organisationen, Institutionen heraus, notiere, warum diese Relevant sind und frage nach einem Interviewtermin. Im 2. Schritt bereite ich das Interview vor. Ein Steckbrief über den Interviewpartner versorgt mich im Vorfeld über die nötigen Informationen und stellt bereits die ersten Fragen. Ein Leitfaden fasst die Fragen in Themenblöcke zusammen und gibt dem Interview die nötige Struktur. Ebenso werden in diesem Schritt die Technik getestet, Termine bestätigt und die Anreise organisiert. Das eigentliche Interview wird erst im 3. Schritt durchgeführt. Dabei ist zu beachten, dass eine Einverständniserklärung unterschieben wird und mit 2 bis 3 einfachen Fragen, das Interview entspannt beginnt. Im vierten und letzten Schritt wird die Aufzeichnung teilweise oder vollständig transkribiert, codiert, verglichen und mögliche Schlussfolgerungen festgehalten. Ausserdem wird ein Stimmungsbild in Form eines Erfahrungsberichts angefertigt. Die einzelnen Punkte, wie mein Vorgehen ist und was alles beachtet werden muss, ist nachfolgend aufgelistet.

Ziel
Durch Interviews Einblick ins Thema und meinen Fokus finden

Experten

  • Correctiv [https://correctiv.org] Transparenz
  • Open Data City [https://opendatacity.de] Transparenz
  • Haushalten e.V. Wohnraum
  • Neustädter Markt Journal Nachbarschaft
  • Querbeet Nachbarschaft
  • Bürgerzentrum Ost Stadtverwaltung

Mögliche weitere Experten

  • Stadtverwaltung ggf. zum Projekt »Parkbogen Ost«
  • Oase Sozialcafé und Kleiderkammer
  • Buchkinder / Tante Hedwig
  • Pöge-Haus
  • Begegnungsstätten / Treffpunkte / Vereine?

Recherche / Begriffe klären

  • Aktionismus Forschung
  • politischer Aktionismus
  • Transparenz
  • Transparent machen durch Aktionismus
  • Politisch Aktiv
  • Politik vs. politisch
  • Aktionismus vs. politisch Aktiv
  • Transparenz vs. Zugänglichkeit
  • Aktionismus vs. Interesse
  • Transparenz vs. Sichtbarkeit
  • Zugänglichkeit vs. Unsichtbarkeit

Checkliste / Vorgehen

Anfrage

  • Experten suchen (Warum diese? Kontraste berücksichtigen.)
  • Datenbank mit Telefonnummer und Ansprechperson
  • Persönlich Anrufen
  • E-Mail nachschicken
    – Kontext
    – 2 bis 3 Sätze, um was es geht
    – Audio-Aufnahme, wenn nichts dagegen
    – Zeitlimit (max. 30 Minuten)
    – Transparenz. Was gebe ich Preis?
    – Kontaktdaten
    – Webseite (spurlog.com)
  • Termin vereinbaren

Vorbereitung

  • Einverständniserklärung zur Veröffentlichung
    – Daten werden im Rahmen der Masterarbeit veröffentlicht
    – vorher Einsicht möglich (Interview schicken)
    – ggf. Stimme nachsprechen, falls keine Aufnahme mögl.
    – Anonym oder Namen nennen
    – Veröffentlichung auf spurlog.com
  • Aufnahmegerät mit Richtmikro kaufen / leihen (Thoman H2 Zoom)
  • Audioaufnahme testen
  • Steckbrief Interviewpartner / Institution erstellen
    – Fakten
    – Struktur / Mitarbeiter
    – Finanzierung
    – Partner
    – Projekte, Sache die ich interessant finde
    – Wie bin ich darauf gestossen?
    – Warum ist es Relevant für mich?
    – Wieso gerade diese Experten?
    – Was möchte ich genau wissen?
    – Argumentation für das Warum des Interviews (Ziel/Sinn/Nutzen)
  • Leitfaden erstellen (3 Themenblöcke)
    – Person / Institution / Stellung / Mitarbeiter
    – Spezifischer / Kunden / Finanzen / Struktur / Projekt
    – Anteilnahme / Resonanzen / Grenzen / Politischer Bezug
    – Abschliessend: Fragen an mich?
    – Fallen Ihnen noch andere ähnliche Projekte ein?
    – Danke für den Einblick / Kontakt hinterlassen
    ! keine ja/nein Fragen
    ! keine Suggestivfragen
    ! Fragen auf Basis von Steckbrief entwickeln

Interviewsituation

  • Begrüßung
  • Kurz Vorstellen
  • Einverständniserklärung
  • Aufnahme starten
  • 2-3 allg. Fragen zur Person / Institution, damit sich die Situation entspannt und man ins Gespräch kommt
  • Fragen stellen
    – ggf. Themenblöcke variieren, je nach Sprechfluss
    – keine Scheu nachzufragen / Rückfragen / Einhaken
    – Abschliessend: Fragen an mich?
    – Fallen Ihnen noch andere ähnliche Projekte ein?
    – Danke für den Einblick / Kontakt hinterlassen

Nachbereitung

  • Transkription / Teiltranskription
  • Themen, die nicht vorgesehen waren, ausarbeiten (Spannung!)
  • ggf. ergeben sich Überraschungsmomente für mich
  • ggf. ergeben sich neue oder tiefere Themen für mich
  • eigene Einschätzung / Auswertung schreiben
  • Erfahrungsbericht der Interviewsituation beschreiben (Probleme?)
  • Codieren des Transkript, damit es vergleichbar wird
  • Vergleichen, falls es möglich ist
  • Gegenüberstellungen / Fakten / Fragen notieren
  • ggf. Tendenzen oder Kontroversen herausarbeiten (Themenfindung?)
  • Stimmungsbild / Einblick beschreiben bzw. dokumentieren

Fragen

  • Wie war es vor 10 Jahren?
  • Wie ist es heute?
  • Wie ist die Prognose in 10 Jahren?
  • Was ist die Rolle der Stadtverwaltung?
  • x Jahre xx (5 Jahre? Wächterhäuser) im Osten Leipzigs, hat sich dadurch die Aufmerksamkeit im Stadtteil geändert?
  • Inhaltliche Fragen (Fakten nur als Bezug)
  • Überraschungen gewünscht (gute Fragen stellen)

Presseschau 15. Juli 2015

30. Mai oder Tausend Jahre Leipzig (Kommentar)

Hufenreuter, Henry: 30. Mai oder Tausend Jahre Leipzig. Kommentar. In: Neustädter Markt Journal (2015), Nr. 2, S. 41.

Mit der »Parade der Unsichtbaren«, trugen am 30. Mai 2015 die »etwa tausend, jüngere, meist wohl links oder alternativ orientierte Menschen« den kreativen Protest »diesmal angenehm friedlich, in die Innenstadt. Sie wollten auf jene aufmerksam machen, an denen der Boom Leipzigs vorbei geht: Arme, Alte, Ausländer, Ausgegrenzte. Erstaunlich nur, dass jene, zu deren Anwälten man sich machte, im Zug eher fehlten. Hier wie auf der anderen Seite offenbar Wahrnehmungs- und Identifikationsprobleme.« (Hufenreuter, S.41)

Hier zeigen sich gleich mehrere »Probleme«, die in der ganzen Stadt zu spüren sind. Zum einen gibt es eine Antikapitalismushaltung in der jüngeren Bevölkerung. Das ist vor allem die Wende-Generation, die in der Übergangszeit die Freiräume für sich entdeckt und genutzt hat. Gleichzeitig spricht diese Gruppe nur für sich und schiebt gern andere »Ausgegrenzte« vor, um sich besser rechtfertigen zu können. Die genannten Gruppen sind aber nie vertreten. Hier geht es einfach nur um Protest, Antipathie, Engstirnigkeit und vor allem Desinteresse. Ich weiss das so gut, weil ich selbst viel mit diesen Menschen zu tun hatte. Um eine ehrliche Haltung gegenüber Armen, Alten, Ausländern und Ausgegrenzten geht es hier leider nicht. Und ebenfalls nicht um einen Dialog mit diesen. Henry Hufenreuter hat das sehr präzise und undogmatisch in seinem Kommentar zusammengefasst. Ein weiteres »Problem« ist, dass die Idententifikation mit Leipzig fehlt. Die Stadt selbst möchte eine »« (Zitat Stadtmarketing) und in die Zukunft gehen. Damit können sich aber nur Menschen identifizieren, die entsprechend die Spielregeln kennen und mit einem gewissen Budget ausgestattet sind. Das betrifft vor allem Zugezogene, oder vorübergehend Weggezogenem die mit gefüllten Konten oder guten Stellenangeboten nach Leipzig ziehen. Die Leipziger selbst, haben eher andere Sorgen. Leipzig hat die »höchste Arbeitslosenquote in Deutschland« (Quelle) und das Präkariat wächst weiter. Die Stadt will feiern und gute Stimmung machen, aber jenseits der Immobilienbranche, gibt es keinen Grund dafür.

Es gibt viel Unsichtbares in Leipzig, aber stigmatisieren würde ich dafür keine Menschen. Hier stellen sich direkt die Fragen:
Wer ist Arm?
Wer ist Alt?
Wer ist Ausländer?
Wer ist Ausgegrenzt?
Was ist mit Kinder, Frauen und Invaliden? ;)

30-Mai-oder-Tausend-Jahre-Leipzig