Kapitel 1 — Warum muss der demokratische Prozess transformiert werden?

Staaten lösen sich auf, Zusammenschlüsse wie die Europäische Union übernehmen immer mehr staatliche Aufgaben. Durch die Globalisierung wird die Welt immer bekannter (kleiner) aber die eigene Umgebung immer fremder (anonymer). Darum ist es wichtig lokal und regional die Augen auf zu machen. Globale komplexe Probleme lassen sich viel besser in der eigenen Nachbarschaft in Angriff nehmen als weltweit. Unterschiedliche ortsbezogene Rahmenbedingungen benötigen individuelle Lösungen für gleiche Probleme — Wer kennt diese besser als die Bewohner einer Region. Wir müssen unsere Rolle als Bürger mit Rechten, Pflichten und Möglichkeiten zur Partizipation nutzen. Wir müssen uns mit unserem Umfeld, Quartier und unseren Nachbarn auseinandersetzen. Wir müssen politisch, gesellschaftlich, bürgerlich aktiv werden, weil der Staat immer öfter für größere statt kleiner Skalierungen da ist — uns aber Rahmen schafft, in denen wir freiheitlich, gerecht und menschlich handeln können. Die Demokratie ist in meinen Augen das höchste Gut einer Zivilgesellschaft und sollte geschützt, gepflegt und weiterentwickelt werden. Schon allein die unzähligen Antworten auf die Frage: Was ist für Dich Demokratie? zeigt, die Offenheit, die durch ein paar wenige Regeln das Zusammenleben der Menschen erleichtert.

Eine allgemeiner Aufwärtstrend zur Bürgerbeteiligung ist seit Occupy Wallstreet, Stuttgart 21, Pussy Riot, No-Legida und den vielen Flüchtlingshelfern aus der Bevölkerung zu sehen. Nach einer aktiven Beteiligungsphase nach dem 2. Weltkrieg und vor allem in den 1970er Jahren der in der BRD, veranlasste die Wende einen starken Rückgang. Die Gründe sind komplex und reichen von mangelnder politischer Bildung für die neuen Bundesbürger, über Oppositionsstärke bis hin zu Bequemlichkeit und Resignation. Seit 2011 gibt es wieder vereinzelt, spontane Zusammenschlüsse, die gemeinsam eine »Ungerechtigkeit« demonstrieren. Mit Unterstützung der Social-Media-Kanäle sind Adhoc-Aktionen leicht realisierbar. Aber wie können im kleinen, lokalen, regionalen Raum, »Unstimmigkeiten« und »Missstände« nicht nur angeprangert, sondern vielseitig kommuniziert, diskutiert und Handlungsräume erarbeitet werden? Es geht darum zur Antihaltung, lauten Rufen, Aufbegehren und Provokation Alternativen wie konstruktives Miteinander, Nachbarschaft, Diskurs, Aktionen, Aufgaben- und Ressourcenteilung zu fördern. Was kann ich als Designer dazu beitragen? Wie muss ein Werkzeug aussehen, dass mir und meiner Nachbarschaft hilft eine quartiereigene Kultur, Philosophie, Ethik, Politik sowie Haltung zu entwicklen und pflegen? Kurz gefasst, die kann Demokratie in der kleinsten gemeinschaftlichen Einheit gelebt und gestaltet werden?

Dabei ist es wichtig sowohl Smart Devices als auch Menschen ohne Netzzugang zu berücksichtigen. Ein cleveres Werkzeug, dass für beide Extreme einen Ansatz bereit hält. Wie diese Aussehen können werden im praktischen Teil der Arbeit erarbeitet. Der weitaus wichtigere Punkt ist die Motivation solch ein Tool zu benutzen. Schon allein das Thema »Politik« erzeugt zumindest in Leipzig, Verdruss, Klage und ein Gefühl des Verlorenseins. Die gelebte Demokratie gibt es in den Köpfen aber weniger beim Nachbarn. Wenn diese aus deren Regionen Deutschlands oder gar ausserhalb der EU kommen, ist jedes Verständnis und jede Demokratie einschliesslich Ihrer Grundrechte vergessen.
»Wie viel Politikverachtung verträgt ein Staat?«[5], fragt Siegfried Schiele, der sein Leben der politischen Bildung verschieben hat. 1992 war »Politikverdrossenheit« das Wort des Jahres. »Nimmt die Verdrossenheit dauerhaft überhand, dann ist dieser Zustand eine Gefährdung für die Demokratie, die nicht vom Verdruss leben kann, sondern von der Mitverantwortung« (Schiele, S. 22). Als Gründe nennt er die idealisierte Demokratie und die übertriebene Individualisierung durch den Kapitalismus. Er rät zu einer lebendigen Zivilgesellschaft, die sich aktiv für die eigenen und gemeinschaftlichen Interessen einsetzt. Neben politischer Bildung ist für Schiele unentgeltliches Engagement und Partizipation von zentralem Wert. Viele Tätigkeiten können gar nicht ausschliesslich von staatlicher Seite finanziert werden. Dafür bedarf es Verantwortlichkeiten und Ressourcen von den Menschen, die gern in dieser Demokratie leben.

Aber was ist eigentlich Demokratie? »Es wäre eine gute Sache, wenn alle Menschen in einem demokratischen Land sagen könnten, was Ihnen persönlich Demokratie bedeutet.« (Schiele, S. 11)
»Für mich ist Demokratie Freiheit. Ein Raum, ein Ort, eine Gesellschaft, in der ich mich für meinen Weg entscheiden und leben kann und es keine Zwänge sondern Pflichten gibt.« (Kockel, 19.8.2015) Nach Schiele ist Demokratie kein Kinderspiel und nur die Transparenz der Schwächen macht sie zu einer. Folglich
müssen wir etwas Verständnis für die Demokratie aufbringen, weil sie in erster Linie gerecht sein möchte und das bedarf einiger Ressourcen:
§1 ZEIT. Demokratie ist langsam, weil gemeinschaftlich nachvollziehbare Entscheidungen getroffen werden.
§2 GELD. Demokratie ist teuer, weil die öffentlichen Ämter sehr viel Geld kosten, aber Unsummen weniger als Diktaturen.
§3 VERSTÄNDNIS. Demokratie ist kompliziert, weil Abstimmungsprozesse und strukturelle Abläufe geregelt sind.
§4 NEUTRALITÄT. Demokratie ist formal, weil nüchtern und nach einem öffentlichen Regelwerk Entscheidungen gefällt werden.
§5 TRANSPARENT. Demokratie zeigt Fehler, weil diese eingestanden, nicht hingenommen, sondern aufgearbeitet werden.
§6 REALITÄT. Demokratie wird oft idealisiert, weil ich denken, dass wir nichts dazu beitragen.
»Alle vermeintlichen Schwachstellen lassen sich überhaupt nicht vermeiden, sondern sind der Preis für ein System, das den Menschen nicht überhöht, sondern mit seinen Stärken und Schwächen wahrnimmt und ihm noch genügend Luft gibt, das Leben in Freiheit und Würde zu gestalten.« (Schiele, S. 19) Diese Verständnis sollte eigentlich jeder, der weiss, was Demokratie für ihn bedeutet, aufbringen und als kleinste Geste, Revanche, Präsent, oder vielleicht als Dankeschön, aller vier Jahre wählen gehen. »Die Gruppe der Nichtwähler ist […] zur stärksten Partei in unserem Land geworden.« (Schiele, S. 23) Somit ist ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr vertreten. Wie das genau passieren konnte, soll nicht Aufgabe dieser Arbeit sein. Ich möchte an dieser Stelle eine Frage stellen:

Was kommt nach der Demokratie? Der Soziologe Colin Crouch ist bekannt durch seine Veröffentlichung »Postdemokratie«. Hier geht er von einer gestellten Demokratie aus, an der nicht mehr teilgenommen wird, sondern die nur noch formal Wahlen abhält. »ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden […], in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben«[1]. Der Bürger bleibt bei diesem System aussen vor und wird zu Rezipienten und reinen Konsumenten. In dem Artikel »Kunde statt Bürger«[2] beschreibt Crouch diese Kunden—Staat-Beziehung, auch »New Public Management« genannt, das in einigen Gemeinden in England bereits Realität geworden ist. Dabei sieht er die Gefahr, dass »das »Kunden«-Konzept unvermeidlich eine Ungleichheit impliziert, die sich mit dem Konzept eines mit Rechten ausgestatteten Staatsbürgers nicht verträgt […] — es gibt im privaten Sektor keine Entsprechung zum staatlichen Konzept der Gleichheit vor dem Gesetz.«[Crouch, S. 3] Durch das Ökonomisieren des öffentlichen Dienstes verschieben sich die demokratische Grundrechte sowie die gesetzliche Gleichstellung zu Bevorteilungssystemen. Crouch sieht Steuerzahler nicht als Kunden sondern »als Bürger und damit als Inhaber bürgerlicher Rechte und Pflichten«. Er bringt ein Beispiel dieser Verschiebung, in der staatliche Leistungen sind nur noch in der Grundversorgung kostenlos sind. Wer mehr will, muss zahlen. Damit etabliert sich wieder eine 2-Klassen-Gesellschaft, die nichts mehr mit Demokratie und dem Grundgesetz gemein hat. In dieser wären nicht alle Menschen gleich, sondern es würden Rechte auf bestimmte Leistungen erst mit einem Kaufvertrag analog zu den AGBs vergeben werden.

Aber strebt unsere Gesellschaft wirklich in diese Richtung? Wie ich eingangs festgestellt habe, ist ein anschwellender Protest, ein Widerstand, eine Gegenbewegung spürbar. Diese äussert sich nicht in aktiver Wählbeteiligung sondern ein vielen kleinen wie großen Aktionen. Ein Teil der Menschheit hat begriffen, dass unser Planet eine Ressource ist, die gepflegt werden muss, Der Klimawandel steht vor der Tür, aber kein will aufmachen. Gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, dass die Demokratie in wichtiges gut bleibt. Damit alle gleichen Zugriff auf unsere Ressourcen haben. Luft, Wasser, Nahrungsmittel, Bildung, Gesundheitsvorsorge, um nur einige zu nennen. In diesem Zusammenhang spielen das Internet, öffentliche WLAN-Netze, Open Source, Open Data, digitale soziale Netzwerke eine große Rolle.
Der freie Zugang von Daten hat in Krisensituationen geholfen Menschenleben zu retten, bei Demonstrationen in autoritären Systemen zu einer Berichterstattung im Ausland geführt, und gerade heute im Sommer 2015, zur Flucht aus menschenfeindlichen Gebieten. Dabei spielt nicht nur die freie Zugänglichkeit der Daten eine wichtige Rolle, sondern auch die der Technik.

Was ist Technologische Souveränität?
Die Soziologin, Sozialwissenschaftlerin für Informations- und Kommunikationstechnologien des Gemeinwohls Alex S. hat dazu die Software-Entwicklerin und Hackerin Margarita Padilla interviewt. Sie geht davon aus, dass aus Mangel an frei verfügbaren Technologien wir uns ein einer gewissen Abhängigkeit von Großkonzernen, die unsere Daten verwalten, befinden. Deswegen müssen wir offene und freie Technologien nutzen, damit wir uns diese Souveränität wieder aneignen. Nach Margarita Padilla besteht bei alternativen Projekten immer das Problem, des Aufwands, der damit einhergehenden Verzögerung und der fehlenden Mittel, um die Masse zu bedienen. »Wir haben die Souveränität vollständig verloren. Wir verwenden die Werkzeuge des Web 2.0 als wären sie übernatürlich, als würde es sie ewig geben. So ist es jedoch nicht, da sie sich in den Händen von Unternehmen befinden und diese zum Besseren oder Schlechteren, nicht auf ewig bestehen.« Als Grund nennt sie, »weil wir ihnen keinen Wert beimessen« (S.72, Padilla) und schlägt vor, diese Thematik analog der Ernährungssouveränität zu behandeln. Daraus ergeben sich Fragen der Werte, Herkunft, Nutzung, Zugänglichkeit, Unternehmensphilosophien und Fragen nach der Entwicklung, Gestaltung und Produktion neuer zivilgesellschaftlicher souveräner Technologien. »Wir definieren Zivilgesellschaft als Gesamtheit von Bürgerinnen und Kollektiven, deren individuelle und kollektive Aktionen nicht in erster Instanz durch Gewinnstreben motiviert sind, sondern durch den Versuch, Wünsche zu erfüllen und Bedürfnisse zu befriedigen und damit zugleich soziale und politische Transformation zu fördern.« In diesem Sinne sowie im Anliegen von Welzer ist es Zeit sich diesem Wandel anzunehmen und Werkzeuge zur demokratischen Transformation zu gestalten.

Ein Blick zurück in unsere auch jüngste Geschichte zeigt, dass »die Zivilgesellschaft stets taktische Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologien, der Medien und des freien Ausdrucks im Allgemeinen entwickelt hat.« (S.74) Diese Nutzung und Aneignung, teilweise mit Gewalt, war stets aktiv und wird auch in Zukunft, wahrscheinlich mehr denn je, aktiv oder besser interaktiv sein. Dieser Prozess lässt sich nicht mehr umkehren. (Zitat Pfeffer?, ich glaube, da gab es eins.) Gerade das Argument, dass »sich unsere elektronische und soziale Identität« (S.74) immer mehr aus dem »digitalen Universum« bildet, zeigt wie notwendig ein Bewusstsein, eine Übernahme oder Boykott und letztendlich eine unabhängige Alternative ist. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Gedanke von der Autorin ist, dass nicht Transparent ist, was momentan aus diesen Massen an Daten gedeutet werden kann, und die mit Diebstahl oder bei Insolvenz damit umzugehen ist. Die Daten gehören eigentlich nicht den Unternehmen, sondern den Nutzern, und werde nur von diesen Unternehmen verwaltert. Analog hierzu seinen Bürgerämter, Polizeiarchive, Finanzämter genannt, die in meinen Augen die gleichen Funktionen haben. Allerdings sind diese Institutionen staatlichen wie bürgerlichen Regeln, wie dem Grundgesetz, unterworfen und nicht wirtschaftlichen oder ökonomischen. Unsere Daten sollten frei, eigenverwaltet, selbstverliehen, geschützt sein und nicht ausspioniert, handelbar, verkäuflich. Um der ungewünschten kommerziellen Dynamik entgegenzuwirken, »benötigen wir eine Vielzahl an Initiativen, Unternehmen Kooperativen und informellen Kollektiven, die uns mit den freien Technologien versorgen, die uns fehlen.« Die Autorin plädiert dafür, wenn wir mehr Privatsphäre und Anonymität in der digitalen Realität wünschen, müssen wir selbst diese Werkzeuge erschaffen oder bestehende nutzen.

Allerdings stellt sich hier die Frage: Warum bereits bestehende Methoden nicht von der Mehrheit genutzt werden und ob es Möglichkeiten gibt, diesen Wandel durch gezielte Gestaltung zu befördern. Ich sehe hier vor allem Potential in kleinen Netzwerken wie lokale Nachbarschaften, Bürgerbündnisse oder ortsgebundene Daten. Die Konzepte von Open Source, Crowd, Community bestehen mit einer guten Basis, aber leider fehlt es an »Massentauglichkeit« im Sinne von Einfachheit, Verständlichkeit, Popularität und Coolness. Neben Ethik und Zugänglichkeit müssen auch die Fragen nach den ökologischen sowie sozialen Kosten der Produktionszentren gestellt werden und damit an Effizienz, Lebenszyklus, Dienstleistungsangeboten, Aufgabenverteilung. Aus Sicht der Autorin »ist es wichtig zu verstehen, dass keine neutralen Technologien existieren. Sie alle sind Absichtserklärungen und zei(ti)gen mannigfaltige Folgen.« (S.76) Deswegen rät sie, wie auch im Konsum- und Ernährungsverhalten souveräne Entscheidungen zu treffen und fehlende Werkzeuge einzufordern: »Jede Einzelne von uns ist Expertin ihrer eigenen Beziehung zu den Technologien. Deshalb können wir uns alle daran probieren, diese Beziehung zu analysieren, um sie neu zu erfinden.« (S.76)

Von dieser Souveränität sprich auch Merces Bunz. »Im Unterschied zu ihren Vorgängern zeichnen sich die Mitglieder der digitalen Öffentlichkeit […] durch ihre aktive Partizipation aus.« (S.140) Allerdings gibt Bunz zu bedenken, »dass sich viele der entsprechenden Plattformen in Privatbesitz befinden und die neue Öffentlichkeit virtuell ist.« (S.139) Dabei spielt der Ort des Geschehens eine immer größere Rolle. Informationen können nicht nur invasiv, sondern unmittelbar ortsbezogen und für eine gewählte Gruppe zugänglich gemacht werden. Das ermöglicht uns: Informationen unterwegs einzusammeln, vor Ort auf eine Situation aufmerksam zu machen oder gestossen zu werden. Mit diesem Wissen, können Beteiligungsprozesse völlig anders gedacht werden. Alternativen für die technologische Souveränität liegen ebenfalls vor, werden aber bisher nur von kleinen spezialisierten Communities wie Hackern oder Open-Data-Aktivisten verwendet.
Für Bunz besteht »Das Ziel der demokratischen Politik […] nicht darin, Gewinne einzufahren, sondern darin, das Zusammenleben der Menschen zu ihrem Besten zu gestalten.« (S.137) In diesem Sinne sollte die Politik dem digitalen Bürger mehr Rechte einräumen. Vielleicht ist sogar eine Anpassung des Grundgesetzes notwendig, um die Rahmenbedingungen für unsere komplexen Realitäten und Identitäten zeitgemäß zu regeln. Vielleicht sollte jeder Bürger recht auf smarte Kommunikation haben? Vielleicht sollte der Staat eine Cloud für seine Bürger bereitstellen, die durch Zusammenschlüsse eigenständige Netzwerke bilden? Würden des Datenschutzbeauftragte kritischer finden, wenn die EU, BRD oder einzelne Kommunen ein Social-Media-Netzwerk zur freien Verfügung stellen statt Facebook zu nutzen? Und wenn es vorstellbar wäre, wer macht die Arbeit und wer zahlt dafür? Viele Beteiligungs- und Open-Crowd-Projekte funktionieren nach den Prinzipien der Gemeinnützigkeit und sollten »eigentlich staatlich umgarnt und gefördert werden. Es ist […] im Grunde ehrenamtliche Arbeit […]« (S.140) Vielleicht könnten entsprechende Gemeinwohl-Plattformen oder digitale Demokratieaktivitäten vom Verteidigungs-, Bildungs- und Familienministerium finanziert werden. Aber vielleicht ist an dieser Stelle eine Finanzierung und Regulierung von staatlicher Seite nicht notwendig, denn »Geld wäre bloss noch ein Mittel unter vielen.« (S.158) Bunz schaut positiv in die Zukunft und gibt uns eine Vision mit auf den Weg: »Dank der Digitalisierung können sich damit Protestbewegungen und Organisationen, Vereine und Zusammenschlüsse, […] ihre eigenen Freiräume organisieren. Vielleicht können sie sogar aus der bestehenden Gesellschaft heraus eine neue bilden«. (S.159)

Dafür spielen von allem überschaubare Gemeinden und Kommunen als Experimentierfeld eine entscheidende Rolle. »Lokale Kulturen sind für die Entwicklung und Etablierung neuer Handlungsnormen von entscheidender Bedeutung.« (Welzer, S.185) Sie zeichnen sich durch Identität, miteinander lernende Dialoge [Austausch] und gruppenspezifisches Handlungswissen [Repertoire] aus, setzen Handlungsbereitschaft, Mut, Selbstvertrauen, Phantasie frei und erzeugen Selbstwirksamkeit. (Welzer, S.186/187) Solche Kulturen, wie z.B. der Transition-Town-Bewegung, müssen keineswegs formelle Organisationsstrukturen zugrunde liegen. Was bedeutet das für mich? Was bedeutet das für mein Tool? Was sind formelle und informelle Organisationsstrukturen? »Es wird meist unterschätzt, wie wichtig eine gelebte Kultur für die Entscheidungen der Einzelnen ist […] Warum? Weil gelebte lokale oder professionelle Kulturen WIR-Bilder bei ihren Mitgliedern hervorbringen, die ein bestimmtes Verhalten kategorial ausschliessen, ein anderes dafür voraussetzen.« (Welzer, S.184) Dadurch werden wir widerstandsfähiger gegenüber Belastungen und Bedrohungen. Und je größer meine Widerstandsfähigkeit ist, des mehr kann ich Bewegen. Das Prinzip Resilienz beruht nach dem Historiker Greg Bankoff auf einer Kombination aus kurzfristigem Altruismus und langfristigem Eigeninteresse. (Welzer, S.190) Eine Verrechnung erfolgt nicht monetär, sondern aus Leistung und Gegenleistung. Diese von Welzer moralische Ökonomie genannt stellt eine »starke Ressource auf dem Weg in eine nachhaltige Moderne dar«. (Welzer, S.191) Grundlage sind lokale Kulturen und Techniken, die natürlich auch auf Open-Source-Ressourcen zurückgreifen können, aber diese im Kleinen organisieren und nutzen. »Communitybasierte Projekte sind ohne politische Programmatik gemeinwohldienlich und daher für viele Beiträger attraktiv.« (Welzer, S.193) Parteien verlieren dadurch einen essentiellen Zuständigkeitsbereich, der im 20. Jahrhundert noch außenpolitisch unvorstellbar war: Kommunikation. Dieses Dilemma / Diese Entwicklung wird sicher auch durch die sinkenden Wahlbeteiligungen und abnehmenden Parteimitgliederzahlen ersichtlich. Das scheinende politische Desinteresse wird durch den kommunikativen und politischen Strukturwandel, wie Open Source Netzwerke, Leaks, Social-Media-Kanäle, Adhokratie ersichtlich. (Welzer, S.193) Die »Formen des Engagements und der politischen Beteiligung [weisen] auf ein höheres Autonomie- und geringeres Festlegungsbedürfnis der Akteure hin.« (Welzer, S.194) Wie es Marco Mass zusammenfasst, müssen Festlegungen, Beharrlichkeit, Standfestigkeit in der Politik von Morgen kein Stärkebarometer Idee, siehe Wetterkarte Merkel / Putin sein, sondern Flexibilität, Autonomie und Korrekturbereitschaft. (sinngemäß zusammengefasst. Zitat ggf. raussuchen. Bezug zu Zeit oder Zeile im Transkript) »Netzkommunikation [hat] ein enormes Mobilisierungspotential und entfaltet dabei eigene Logiken der Vergemeinschaftung, die ungeheuer machtvoll sein können« (Welzer, S.194) In Zukunft werden die beiden Ebenen Online und Offline zu einer natürlichen Kulturtechnik verschmelzen, die das politische privat und gleichzeitig öffentlich macht. Welzer empfiehlt »um die vorhandene Engagementbereitschaft abrufen zu können, bedarf es ganz offensichtlicher neuer Beteiligungs-, Veranstaltungs- und Diskursformate.« (Welzer, S.196) »Das Potential für einen Wandel ist da,« wir müssen »ihn nur konkret und attraktiv machen.« (Welzer, S.198) Dabei gilt es, dort anzusetzen, wo bereits Handlungsbereitschaft praktiziert wird, von neunen Assoziation- und Aktionsformen lernen, veränderte Kommunikations- und Mobilisierungsformen berücksichtigen, um Widerständigkeit zu lernen.

Aber wie kann das gelingen?
[Social Participation and Design Activism, S.213]
»Maier-Aichen refers to a »Utopia of less … but better« that requires creatives not only to create compelling design products, graphics or interiors, but also »to find innovative ways of communication, materialising and dematerialising things« (2004:10). The emphasis here is on developing design as a transformative process or as a way of reconfiguring routine and outlooks.« (S.214) Ein Methode ist es die Gemeinschaft ins Zentrum des Entscheidungsprozess einzubeziehen (zu setzen), um die Wiederbelebung der Lokalität (Nachbarschaft) einzufordern.
Nach Julier muss sich der Designer darum kümmern, für die medienverweigernden Normalbürger einfallsreiche Beteiligungsformen zu entwickelt, um auf bestehende Situationen Antworten zu finden und ihnen die Entscheidungsmacht über ihrer Umwelt zurückzugeben. (S.215) Mit Vorher-Nachher-Vergleichen können die Auswirkungen gemessen und weniger emotional argumentiert werden, was nun wirklich verändert wurde und bewertet werden, welche Folgen sich eingestellt haben. Mit diesen kleinteiligen Aktionen können verschiedene Methoden auf kommunaler Ebene getestet werden. Bei Misserfolg zieht das Scheitern keine weltumfänglichen Veränderungen nach sich und kann getrost als fehlgeschlagener aber probiertet Versuch durchaus mit gewonnen Erkenntnissen sowie Rahmenbedingungen für die Community hinterlegt werden. Bei positivem Ausgang stellt die gleiche Art der Dokumentation anderen Regionen Maßnahmenempfehlungen zu Verfügung, die ebenfalls erfolgreich oder scheitern können. Neben diesem vernetzten Erfahrungswissen wird dieses aber auch vor Ort weitergereicht und in die lokale Wissensgemeinschaft verbal transportiert. In diesen Prozessen können Designer als Katalysatoren für einen leichtern Zugang zum Thema und möglichen Antworten dienen. »Notenheftes, such work is also driven by political desires that not only Ami for democratic engagement with the processes and outcomes of creative practices among citizens, but in these, also seek a transformative effect on their everyday outlooks. As such, this may be termed »activist design«.« (S.216) Es gibt aber auch noch andere Formen des Designaktivismus. Für Thorpe sind es Designartefakte, die das Handeln nach ökologischen Werten einfordern. Nach Fuad-Luke geht es darum im Designprozess soziale, ökologische oder politische Werte statt kommerzieller und wirtschaftlicher in den Vordergrund zu stellen. DiSalvo sieht die Möglichkeit durch »feindliches«, nicht kooperierendes Design, eigentlich eines Anti-Designs, dominierenden Haltungen in Frage zu stellen und somit einen Diskurs einzuleiten. In jedem Fall unterbricht es die Alltagsroutinen, durch Irritation, Umnutzung, Fehlverhalten oder Verbesserung. »This is a designerly intervention. By rapidly and dramatically turning it into a secure space for play […] are changed not just through representation but also by physical engagement.« (S.217)

Aus diesem Grund brauchen wir keine Standard-Lösungen sondern intelligente flexible Werkzeuge, die es uns erlauben auf unterschiedliche Situationen passend zu reagieren. Ein weiterer Anspruch wäre aus ökologischen und sozialen Gründen, für eine möglichst kleine Gemeinschaft eine offenes Kommunikation- und Organisationsplattform zu schaffen, die es erlaubt Wissen, Ressourcen und Aktionen standortbezogen einzusetzen und diese an die aktuellen Bedingen anzupassen. Damit das Werkzeug mit der Zeit und den Anforderungen mit wächst und nicht jedesmal neu erdacht werden muss.


1 | Colin Crouch: Postdemokratie, Bonn, 2008, ISBN 978-3-89331-922-0, S. 10.
2 | Crouch, Colin: Kunde statt Bürger. In: Le Monde diplomatique (August 2015), Nr. 08/21. Jahrgang, S. 3.