30. Mai oder Tausend Jahre Leipzig (Kommentar)
Hufenreuter, Henry: 30. Mai oder Tausend Jahre Leipzig. Kommentar. In: Neustädter Markt Journal (2015), Nr. 2, S. 41.
Mit der »Parade der Unsichtbaren«, trugen am 30. Mai 2015 die »etwa tausend, jüngere, meist wohl links oder alternativ orientierte Menschen« den kreativen Protest »diesmal angenehm friedlich, in die Innenstadt. Sie wollten auf jene aufmerksam machen, an denen der Boom Leipzigs vorbei geht: Arme, Alte, Ausländer, Ausgegrenzte. Erstaunlich nur, dass jene, zu deren Anwälten man sich machte, im Zug eher fehlten. Hier wie auf der anderen Seite offenbar Wahrnehmungs- und Identifikationsprobleme.« (Hufenreuter, S.41)
Hier zeigen sich gleich mehrere »Probleme«, die in der ganzen Stadt zu spüren sind. Zum einen gibt es eine Antikapitalismushaltung in der jüngeren Bevölkerung. Das ist vor allem die Wende-Generation, die in der Übergangszeit die Freiräume für sich entdeckt und genutzt hat. Gleichzeitig spricht diese Gruppe nur für sich und schiebt gern andere »Ausgegrenzte« vor, um sich besser rechtfertigen zu können. Die genannten Gruppen sind aber nie vertreten. Hier geht es einfach nur um Protest, Antipathie, Engstirnigkeit und vor allem Desinteresse. Ich weiss das so gut, weil ich selbst viel mit diesen Menschen zu tun hatte. Um eine ehrliche Haltung gegenüber Armen, Alten, Ausländern und Ausgegrenzten geht es hier leider nicht. Und ebenfalls nicht um einen Dialog mit diesen. Henry Hufenreuter hat das sehr präzise und undogmatisch in seinem Kommentar zusammengefasst. Ein weiteres »Problem« ist, dass die Idententifikation mit Leipzig fehlt. Die Stadt selbst möchte eine »« (Zitat Stadtmarketing) und in die Zukunft gehen. Damit können sich aber nur Menschen identifizieren, die entsprechend die Spielregeln kennen und mit einem gewissen Budget ausgestattet sind. Das betrifft vor allem Zugezogene, oder vorübergehend Weggezogenem die mit gefüllten Konten oder guten Stellenangeboten nach Leipzig ziehen. Die Leipziger selbst, haben eher andere Sorgen. Leipzig hat die »höchste Arbeitslosenquote in Deutschland« (Quelle) und das Präkariat wächst weiter. Die Stadt will feiern und gute Stimmung machen, aber jenseits der Immobilienbranche, gibt es keinen Grund dafür.
Es gibt viel Unsichtbares in Leipzig, aber stigmatisieren würde ich dafür keine Menschen. Hier stellen sich direkt die Fragen:
Wer ist Arm?
Wer ist Alt?
Wer ist Ausländer?
Wer ist Ausgegrenzt?
Was ist mit Kinder, Frauen und Invaliden? ;)